Kirchenmusik nach dem Konzil von Trient

Kirchenmusik nach dem Konzil von Trient
Kirchenmusik nach dem Konzil von Trient
 
Durch die vorrangige Komposition von Messen und Motetten in der frankoflämischen Schule entstand erstmals in der abendländischen Musikgeschichte ein reicher Werkbestand an mehrstimmiger Kirchenmusik. In ihr vor allem verwirklichen sich das Stilideal der Zeit und die hohe Kunst des polyphonen Satzes. Das bedeutet der Tendenz nach eine gewisse Lösung des kirchenmusikalischen Werkes von seiner geistlichen Bestimmung. Indem es sich ansatzweise als eigengesetzliche Komposition etabliert, entfernt es sich in eben dem Maß von seiner ursprünglichen liturgisch dienenden Funktion. Messe und Motette stehen zudem in enger Wechselwirkung mit der weltlichen Musik. Aus ihr entlehnten die Komponisten von Messen Liedmelodien als Cantus firmi (Tenormesse) und sogar vollständige Stücke als Satzvorlagen, die zwar umgeformt und erweitert wurden, ihrer weltlichen Herkunft nach aber erkennbar blieben (Parodiemesse).
 
Beides, autonomer Kunstanspruch und Liednähe, hat verständlicherweise die Kritik kirchlicher Kreise hervorgerufen und im ganzen 16. Jahrhundert kirchenmusikalische Reformbestrebungen wachgehalten. Sie zielten im Kern auf eine andächtige und von weltlichen Elementen freie Musik im Gottesdienst, die sich, schlicht und textverständlich, der Botschaft des christlichen Wortes unterzuordnen habe. Diese Kritik traf sich im Übrigen mit Gedanken des Humanismus (zum Beispiel des Erasmus von Rotterdam), der vom antiken Kunstverständnis her die Aussagekraft der Sprache in den Mittelpunkt stellte und Textüberschneidungen, wie sie sich zwischen polyphon geführten Stimmen zwangsläufig ergeben, in der zeitgenössischen Volkalmusik bemängelte.
 
Den Höhepunkt dieser Entwicklung bildeten die Kontroversen, Deklarationen und Beschlüsse im Rahmen des Konzils von Trient, das 1563 zu Ende ging. Im Ergebnis wurde die mehrstimmige Kirchenmusik, die zwischendurch ernsthaft bedroht schien, zwar anerkannt; sie geriet aber unter den stärkeren Einfluss geistlicher Reformer, die sie zur Einfachheit, Verständlichkeit und Würde sowie zur Vermeidung alles Profanen anhielten.
 
Die ursprünglich relativ strikten Reformforderungen wurden zwar vom Plenum nicht übernommen, sondern gekürzt und gemildert. Die Absicht kirchlicher Autoritäten, auf die Wortverständlichkeit in Vertonungen liturgischer Texte hinzuwirken, blieb aber weiterhin spürbar. Musterbeispiele von weitgehend homophonen, in allen Stimmen textsynchronen Kompositionen bilden die 1570 gedruckten Messen von Vincenzo Ruffo und die 1562 erschienenen kurzen Gebetsstücke, »Preces speciales«, von Jacobus de Kerle, die bei der Meinungsbildung der Konzilsteilnehmer eine Rolle spielten.
 
Dass Palestrina mit seiner Messe »Missa Papae Marcelli« (um 1562) das Konzil günstig gestimmt habe und so zum »Retter der Kirchenmusik« geworden sei, ist eine Legende, die erst im 17. Jahrhundert aufkam. Immerhin wurden unmittelbar nach dem Konzil auch Werke Palestrinas begutachtet und für würdig befunden. Die »Missa Papae Marcelli« gehörte vielleicht dazu, denn sie ist eine auffällig textverständliche und von homophonen Partien durchsetzte Komposition. Daneben hat Palestrina aber weiterhin kunstvolle polyphone Messen geschrieben und ausdrücklich bekannt, dass man sie in der einen oder anderen Art komponieren könne. Nicht weil er betimmten Konzilsansprüchen gefolgt wäre, ist sein Stil zum Inbegriff katholischer Kirchenmusik geworden, sondern weil seine Musik eine absolute Stimmigkeit und Geschlossenheit besitzt, die sie in besonderer Weise zum Medium gültiger religiöser Aussagen zu prädestinieren scheint.
 
Die spätere Bezeichnung »Palestrinastil« ist allerdings auf die Art, wie Palestrina komponierte, nur mit Einschränkungen anwendbar, weil die Intention dieses Stilbegriffs gerade dahin ging, Elemente persönlich subjektiver Expressivität zurückzudrängen. Zudem war Palestrina nur der führende Komponist einer Gruppe von Komponisten in Rom, die um diese Zeit an der Pflege einer streng kontrapunktischen, aber wort- und klangintensiven Kirchenmusik beteiligt waren. Dazu gehören Giovanni Animuccia, Kapellmeister an Sankt Peter, Giovanni Maria Nanino, Nachfolger Palestrinas an Santa Maria Maggiore, ferner die spanischen Musiker Cristóbal Morales und Tomás Luis de Victoriasowie die Brüder Felice und Giovanni Francesco Anerio, deren Werke bereits frühbarocke Stilelemente enthalten.
 
Prof. Dr. Peter Schnaus
 
 
Besseler, Heinrich: Die Musik des Mittelalters und der Renaissance. Lizenzausgabe Laaber 1979.
 
Europäische Musik in Schlaglichtern, herausgegeben von. Peter SchnausMannheim u. a. 1990.
 
Geschichte der Musik, herausgegeben von Alec Robertson und Denis Stevens, Band 2: Renaissance und Barock. Aus dem Englischen. Sonderausgabe Herrsching 1990.
 
Die Musik in Geschichte und Gegenwart, begründet von Friedrich Blume. Herausgegeben von Ludwig Finscher, auf 21 Bände berechnet. Kassel u. a. 21994 ff.
 
Neues Handbuch der Musikwissenschaft, begründet von Carl Dahlhaus. Fortgeführt von Hermann Danuser, Band 3 und 4. Sonderausgabe Laaber 1996.

Universal-Lexikon. 2012.

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